Aktuelle Rechtsprechung zur Scheinselbstständigkeit

23. Juli 2024
LLP Law | Patent

Bild von Peter Olexa auf Pixabay

In der heutigen schnelllebigen Geschäftswelt, in der Flexibilität und Kosteneffizienz Schlüssel zum Erfolg sind, verlassen sich Unternehmen zunehmend auf freiberufliche Mitarbeiter und externe Dienstleister. Während diese Zusammenarbeit viele Vorteile bietet, birgt sie auch Risiken: Die sogenannte Scheinselbstständigkeit. Oft übersehen und missverstanden, kann sie schwerwiegende rechtliche Konsequenzen und finanzielle Strafen nach sich ziehen. Aber was genau ist Scheinselbstständigkeit, welche Probleme bringt sie mit sich und wie kann sie vermieden werden?

Was ist Scheinselbstständigkeit?

„Scheinselbstständigkeit“ bezieht sich auf eine Arbeitsbeziehung, in der eine Person formal als selbstständig eingestuft wird, aber in Wirklichkeit Merkmale aufweist, die typischerweise einer abhängigen Beschäftigung (also einem Angestelltenverhältnis) entsprechen. Eine falsche Klassifizierung von Arbeitnehmern hat weitreichende Implikationen. Sozialversicherungsbeiträge, Steuern und andere gesetzliche Leistungen, die für reguläre Angestellte gelten, werden so oft umgangen. Bei einem Verstoß können Behörden erhebliche Nachzahlungen verlangen und Strafen verhängen. Daher ist es für Arbeitgeber wichtig zu wissen, wann ein Fall von Scheinselbstständigkeit vorliegt und wie er einen solchen erkennen kann.

Schlüsselindikatoren der Scheinselbstständigkeit

Um festzustellen, ob bei einem freien Mitarbeiter oder externen Dienstleister eigentlich eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, lohnt sich der Blick in verschiedene Abgrenzungskriterien. Die folgenden Indikatoren sollte jeder Unternehmer kennen. So sind Sie rechtlich abgesichert und fördern zudem eine transparente und faire Arbeitsumgebung.

  1. Weisungsgebundenheit: Detaillierte Vorgaben bzgl. Arbeitszeit, Arbeitsort und Ausführung der Tätigkeit sprechen für ein Angestelltenverhältnis. Freiberufler sind in ihrer Arbeitsgestaltung hingegen selbstbestimmt.
  2. Eingliederung in die Arbeitsorganisation: Ein selbstständiger Auftragnehmer führt ein eigenes Unternehmen. Ist er stattdessen in die Strukturen des Auftraggebers eingebunden, deutet dies auf Scheinselbstständigkeit hin. Indizien hierfür sind z.B. die Nutzung von Räumlichkeiten, Materialien oder Werkzeugen des Auftraggebers.
  3. Fehlendes Unternehmerrisiko: Echte Selbstständige tragen ein Unternehmerrisiko, haben eigene Betriebsmittel, können Gewinne und Verluste erzielen und bedienen mehrere Kunden. Fehlt es an diesen Elementen, ist Vorsicht geboten.
  4. Regelmäßiges Festgehalt: Angestellte bekommen ein regelmäßiges Gehalt ausgezahlt. Freiberufler erhalten ihre Bezahlung basierend auf abgeschlossenen Projekten oder erbrachten Dienstleistungen.
  5. Vollzeit-Tätigkeit für einen Auftraggeber: Selbstständige führen i.d.R. Aufträge von mehreren Auftraggebern aus. Arbeitet ein Freiberufler jedoch über einen längeren Zeitraum Vollzeit für einen Auftraggeber, kann dies die Frage der Scheinselbstständigkeit aufwerfen.

In der modernen Arbeitswelt ist es mit dem Aufkommen von Homeoffice, flexiblen Arbeitszeiten und Projekt-basierten Aufgaben immer schwieriger geworden, klare Linien zwischen Selbstständigen und Angestellten zu ziehen. Auch die Gesetzgebung ist nicht immer eindeutig. Dies lässt Raum für Interpretationen und kann es für Unternehmen schwierig machen Scheinselbstständigkeit zu erkennen. Daher lohnt sich ein Blick in die aktuelle Rechtsprechung. Diese bieten Ihnen eine Orientierung für die richtige Einordnung, der für Sie tätigen Personen.

LLP Law | Patent

Bild von ddd0510 auf Pixabayabay

Beispiele aus der Rechtsprechung 2023

Das hessische Landessozialgericht stufte Bauarbeiter mit „Nachunternehmerverträgen“ als abhängig Beschäftigte ein. Die Begründung: Wesentliches Material und Werkzeug wurde vom Hauptauftraggeber bereitgestellt, es erfolgte keine individuelle Preiskalkulation und bei den Arbeiten handelte es sich um einfache und gleichförmige Tätigkeiten. Die Betitelung des Vertrages als „Nachunternehmervertrag“ ist für die Beurteilung des Beschäftigungsstatus irrelevant, wenn er nicht den realen Arbeitsbedingungen entspricht. Vielmehr deutet dies darauf hin, dass die gesetzliche Sozialabgabenpflicht bewusst umgangen wurden (Landessozialgericht Hessen 8. Senat vom 26.01.2023 – L 8 BA 51/20).

Bei freiberuflich angestellten Fitnesstrainern in einem Fitnessstudio stellte das bayerische Landessozialgericht ebenfalls einen Fall der Scheinselbstständigkeit fest: Die Fitnesstrainer waren fest in die Organisation des Fitnessstudios integriert. Das Studio legte das Kursangebot fest und akquirierte Kunden. Die Trainer hatten keinen Einfluss auf das angebotenen Kursprogramm. Zudem führten sie Kurse ausschließlich in den Räumlichkeiten des Fitnessstudios durch und wurden nach Zeit bezahlt. So bestand für sie kein Unternehmerrisiko (Landessozialgericht Bayern, Beschluss vom 18.08.2023 – L 7 BA 72/23 B ER).

LLP Law | Patent

Bild von Pexels auf Pixabay

Als abhängig Beschäftigte ordnete das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen auch Ärzte ein, die von zu Hause aus für eine Notfallhotline arbeiteten. Im vorliegenden Fall konnte die betroffene Ärztin Arbeitsort und Beratungsintensität frei wählen. Zudem gab es keine Verpflichtung zum Bereitschaftsdienst. Für eine Selbstständigkeit reichte dies nicht aus. Homeoffice ist inzwischen auch unter Arbeitnehmern weit verbreitet und daher kein taugliches Abgrenzungskriterium mehr. Ebenso war sie bzgl. Einhaltung der Unternehmensrichtlinien und der Pflicht zu Erreichbarkeit während ihrer Schichten weisungsgebunden (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20. Februar 2023 – L 2/12 BA 17/20)

Fazit Scheinselbstständigkeit

Die Einordnung von Arbeitsverhältnissen als Scheinselbstständigkeit stellt für Unternehmen und Arbeitnehmer eine komplexe Herausforderung dar. Moderne Arbeitsformen lassen traditionelle Grenzen verschwimmen. Für Unternehmen besteht die Herausforderung daher darin, bei der Beauftragung von freien Mitarbeitern oder Dienstleistern eine genaue Prüfung vorzunehmen. So vermeiden Sie rechtliche Konsequenzen und Nachzahlungen. In der Regel ist hier der Rat von Spezialisten und Rechtsanwälten gefragt. LLP kann Ihnen eine individuelle Beratung bieten und dabei helfen, spezifische Fälle zu analysieren und Handlungsempfehlungen geben.

Julia Steinle | Rechtsanwältin und Mediatorin

Frau Rechtsanwältin Steinle betreut bei LLP Law|Patent den Bereich individuelles und kollektives Arbeitsrecht. Sie unterstützt Sie bei der Gestaltung Ihrer Personal­verträge und steht Ihnen als erfahrene Verhandlungs­partnerin sowohl vor den Arbeitsgerichten als auch bei Gesprächen mit Arbeitnehmern und dem Betriebsrat zur Seite.

Ein weiterer Schwerpunkt von Frau Rechtsanwältin Steinle liegt in der nationalen und internationalen Vertrags­gestaltung, insbesondere von Verträgen mit Bezug zum Technologierecht, IT-Recht und Urheberrecht. Sie verfügt über umfangreiche und langjährige Erfahrung bei der Führung von Gerichtsverfahren vor den Zivilgerichten.

Frau Rechtsanwältin Steinle ist seit Oktober 2018 Mediatorin und steht Ihnen als kompetente Ansprechpartnerin bei Streitschlichtungen zur Verfügung.

Julia Steinle - LLP Law|Patent