EMS-Dienstleistung – was ist das rechtlich wirklich?

1. Oktober 2024
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Electronics Manufacturing Services“ oder kurz „EMS“ bezeichnet eine Outsourcing-Strategie, bei der Unternehmen einen Teil des Produktionsprozesses auf externe EMS-Dienstleister auslagern. Im deutschsprachigen Raum wird für diese Form des Outsourcings gerne auch der Begriff „Lohnfertigung“ verwendet. Ein Bestandteil solcher Produktionsprozesse sind die Bestückung von Leiterplatten (PCB) oder die Montage von elektronischen Baugruppen und Geräten.

Dem EMS liegt der dem US-Rechtskreis entstammende Gedanke zugrunde, dass der EMS-Dienstleister seine Leistungen darauf beschränkt, Montageleistungen nach den Vorgaben des Auftraggebers als „Service“ zu erbringen. Dies umfasst auch die Beschaffung der von dem Auftraggeber vorgegebenen Komponenten entsprechend der von ihm vorgegebenen Stückliste. Diese Stückliste wird in der Branche „Bill of Material“ oder kurz „BoM“ genannt. Seit den 2020ern hat sich der Markt der internationalen Beschaffung elektronischer Komponenten immer mehr zu einem reinen Wildwest-Markt entwickelt. Verbindliche Liefertermine und Preise, und damit der Abschluss von Verlässlichkeit schaffenden Beschaffungsverträgen, sind schlicht nicht mehr möglich. Daher versuchen sich die EMS-Dienstleister entweder durch sog. „Beschaffungsfreigaben“ des Auftraggebers bestimmter Beschaffungsrisiken zu entziehen oder sich dieser Beschaffungsaufgaben komplett wieder zu entledigen. Letzteres bedeutet, die Beschaffung bei dem Auftraggeber zu belassen, der dem EMS-Dienstleister die Komponenten für die Bestückung/Montage beizustellen hat.

Rechtlich stellen sich für diese Branche daher durchaus spannende und grundlegende Fragen: Um welchen Auftragstyp handelt es sich im deutschen Recht bei derartigen Aufträgen an EMS-Dienstleister? Wäre aus Sicht des EMS-Dienstleisters eine Einordnung seiner Leistung als „Dienstleistung“ überhaupt anzustreben? Welche rechtlichen Konsequenzen, v.a. hinsichtlich Gewährleistungsrechten, ergeben sich aus den unterschiedlichen Vertragstypen?  Mehr dazu im folgenden Artikel.

Welche Vertragstypen des BGB sind auf EMS-Dienstleistungen anwendbar?

Welcher Vertragstyp auf das Vertragsverhältnis zwischen EMS-Dienstleiser als Auftragnehmer und dem Auftraggeber anwendbar ist, hängt von der konkreten Ausgestaltung der Geschäftsbeziehungen ab. Grob umrissen ergeben sich die Unterschiede daraus, ob die Vertragsparteien pro hergestellter und gelieferter kundenspezifisch erstellter Ware einen Preis vereinbaren, ob die Leistung nur aus der Montage der Bauteile besteht oder ob der EMS-Dienstleister auch für Planungs- bzw. Designdienstleistungen bezahlt wird.

Werklieferungsvertrag (§ 650 BGB)

Erhält der EMS-Dienstleister einen Preis pro hergestellter und gelieferter Leiterplatte (Produktpreis), die nach den Vorgaben seines Auftraggebers kundenspezifisch bestückt und gefertigt wird? Dann liegt in der Regel ein Werkliefervertrag gem. § 650 BGB über nicht vertretbare, kundenspezifisch erstellte Ware vor. Dies gilt unabhängig davon, ob der Auftraggeber notwendige elektronische Bauteile beschafft und beistellt oder der EMS-Dienstleister die Bauteile im Auftrag beschafft.

Die Einordnung als Werkliefervertrag gem. § 650 bedeutet, dass Kaufvertragsrecht mit wenigen Elementen des Werkvertragsrecht für die Erstellung und Lieferung von Produkten anwendbar ist. Hieraus ergeben sich folgende Konsequenzen für die Vertragsparteien:

  • Gewährleistung für jede gelieferte bestückte Leiterplatte. Die Gewährleistungsfrist beträgt hierbei 2 Jahre ab der jeweiligen Lieferung der Leiterplatte.
  • Keine Haftung des EMS-Dienstleisters für die vom Auftraggeber beigestellten Bauteile. Dies ergibt sich aus § 645 BGB.
  • Der Auftraggeber kann jederzeit kündigen (stornieren) mit der Folge, dass der EMS-Dienstleister dennoch die vereinbarte Vergütung abzüglich der ersparten Aufwendungen verlangen kann (§ 648 BGB).
  • Der Auftraggeber muss die Wareneingangskontrolle nach § 377 HGB als Obliegenheit durchführen. In der Praxis führt diese Vorschrift häufig zum Verlust der Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers.
  • Beschafft der EMS-Dienstleister die Bauteile, haftet er für diese im Rahmen der vorgenannten Gewährleistung. Achtung: Aus diesem Grund sind in der Praxis vertragliche Regelungen zu abweichenden Risikoverteilung durch Beschaffungsfreigaben erforderlich und zu empfehlen. Vor allem, da insoweit im deutschen Recht gesetzliche Regelungen fehlen.

Werkvertrag (§ 631 BGB) oder Dienstvertrag (§ 611 BGB) wegen Montage

Lässt sich der EMS-Dienstleister nur für die Leistung des Zusammenbauens bzw. der Montage von den vom Auftraggeber beigestellten Bauteilen bezahlen, liegt regelmäßig ein Werkvertrag vor. Abgerechnet wird über eine Pauschale oder einen Aufwandspreis, nicht über einen Produktpreis. Nur bei einem individuellen Aushandeln des Vertrages könnte ausnahmsweise auch ein Dienstvertrag vorliegen. Je nach Vertragstyp ergeben sich verschiedene Konsequenzen.

Rechtliche Folgen des Werkvertrags gem. § 631 BGB:

  • Der Auftraggeber muss die Werkleistung abnehmen.
  • Gewährleistung des EMS-Dienstleisters für den Zusammenbau bzw. die Montage. Die Gewährleistungsfrist beträgt 2 Jahre und beginnt mit der jeweiligen Abnahme (§ 634a Abs. 1 Nr. 1 BGB).
  • Keine Haftung des EMS-Dienstleisters für die vom Auftraggeber beigestellten Bauteile (§ 645 BGB).
  • Der Auftraggeber kann jederzeit kündigen (stornieren). Dies hat zur Folge, dass der EMS-Dienstleister dennoch die vereinbarte Vergütung abzüglich der ersparten Aufwendungen verlangen kann (§ 648 BGB).
  • Dem Auftraggeber obliegt keine Wareneingangskontrolle nach § 377 HGB.
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Rechtliche Folgen des Dienstvertrags gem. § 611 BGB: Der EMS-Dienstleister übernimmt zwar keine Gewährleistung pro Produkt, muss aber den Zusammenbau sorgfältig durchführen und haftet für seine Schlechtleistung, sofern schuldhaft, mindestens 3 Jahre ab Kenntnis des Auftraggebers vom Schadensfall, maximal bis 10 Jahre ab Erbringung der Dienstleistung. § 377 HGB ist beim Dienstvertrag – ebenso wie beim Werkvertrag – nicht anwendbar.

Werkvertrag (§ 631 BGB) wegen Plan- oder Designdienstleitungen

Erbringt der EMS-Dienstleister über den reinen Warenumsatz (Produktverkauf) hinaus auch erhebliche planerische oder Designleistungen für den Auftraggeber, liegt in der Regel ein Werkvertrag vor. Dies gilt unabhängig davon, ob der planerische Leistungsanteil preislich separat ausgewiesen und abgerechnet oder von dem EMS-Dienstleister in den Produktstückpreis umgelegt wird. Hieraus ergeben sich die folgenden rechtlichen Konsequenzen:

  • Der Auftraggeber muss die Werkleistung abnehmen.
  • Es gilt eine Gewährleistung für Design und Zusammenbau. Die Gewährleistungsfrist beträgt 2 Jahre und beginnt mit der Abnahme.
  • Keine Haftung des EMS-Dienstleisters für die vom Auftraggeber beigestellten Bauteile (§ 645 BGB).
  • Der Auftraggeber kann jederzeit kündigen (stornieren) mit der Folge, dass der EMS-Dienstleister dennoch die vereinbarte Vergütung abzüglich der ersparten Aufwendungen verlangen kann (§ 648 BGB).
  • Dem Auftraggeber obliegt keine Wareneingangskontrolle nach § 377 HGB.

Fazit

Auch wenn man also immer wieder liest,  EMS-Dienstleister erbrächten Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Herstellung von Elektronikprodukten, dann ist dies nach deutschem Recht in aller Regel unzutreffend. Dies wäre aus Sicht des EMS-Dienstleisters – entgegen gängigen Vorstellungen über das Dienstvertragsrecht – rechtlich keineswegs vorteilhaft. Ganz im Gegenteil, wäre es für ihn sogar sehr nachteilig: dem EMS-Dienstleister entgeht ein in der Praxis extrem wichtiger Schutz durch § 377 HGB und er setzt sich extrem lang nachwirkenden Haftungsrisiken aus.

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Bei dem in der Praxis üblichen Geschäftsmodell (Bestückung nach Vorgabe und Vereinbarung von Stückpreisen) wird man über den Werklieferungsvertrag zum Kaufrecht kommen. Anspruchsvoll wird die Vertragsgestaltung, wenn der Leistungsumfang des EMS-Dienstleisters planerische oder Designdienstleistungen enthält. Warum? Weil sich der EMS-Dienstleister damit in den Anwendungsbereich des Werkvertragsrechts begibt. Dies bringt den Verlust des wichtigen Schutzes durch § 377 HGB mit sich.

Die vorstehende Einordnung ist im Übrigen äußerst bedeutsam für jede Gestaltung von branchenspezifischen Geschäftsbedingungen und Musterverträgen (sogenannte AGB). Dies liegt daran, dass die richterliche AGB-Kontrolle hierauf aufbaut und die Wirksamkeit der einzelnen Klauseln von dieser Einordnung abhängt. Kontaktieren Sie jederzeit unsere Rechtsanwälte von LLP Law|Patent aus München für eine rechtliche Einordnung Ihrer Geschäftsbeziehungen. Wir beraten Sie gerne zur individuellen Vertragsgestaltung im Bereich der EMS-Dienstleistungen.

Arno Lohmanns | Rechtsanwalt

Herr Rechtsanwalt Arno Lohmanns ist Ihr Ansprech­partner für alle Fragen der inter­nationalen Vertrags­gestaltung, des IT- und des Technologie­rechts. Mit über 25 Jahren Berufs­erfahrung in inter­national tätigen Kanzleien und Industrie­unternehmen findet er für Sie zielsicher maßgeschneiderte vertragliche Lösungen in deutscher und englischer Sprache, nicht nur auf Basis deutschen Rechts, sondern auch auf Basis zahlreicher anderer nationaler Rechtsordnungen. Arno Lohmanns versteht Ihr Geschäftsmodell und die kaufmännischen Zusammenhänge, begleitet Sie bei Ihren geschäftlichen Unternehmungen in anderen Rechtsordnungen und steht Ihnen als kompetenter Verhandlungs­partner zur Seite, insbesondere in allen grenzüberschreitenden Situationen.

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